Ein Porträtfoto, 180 Euro Honorar für den Fotografen und plötzlich ziert das Bild mehr als 25 Nahrungsergänzungsmittel. Der BGH räumt nun dem Fotografen umfassende Auskunftsrechte gegn das Unternehmen ein. Warum das Urteil jeden Kreativen und jedes Marketing-Team alarmieren sollte, lesen Sie hier.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass ein Berufsfotograf von einem Nahrungsergänzungsmittel-Unternehmen genaue Auskunft über jede Verwendung seines Portraitfotos verlangen darf. Der BGH hielt die einmalige Zahlung von 180 Euro für deutlich zu niedrig, weil das Bild in der Folge auf mehr als 25 Produktverpackungen und in Teleshopping-Sendungen eingesetzt worden war. Das Oberlandesgericht (OLG) München muss nun prüfen, ob der Fotograf womöglich zu lange gewartet hat und deshalb seinen Anspruch nicht mehr durchsetzen kann (BGH, Urteil vom 18.06.2025, Az. I ZR 82/24).
Portrait des Fotografen umfassend genutzt
Der Fall begann am 29.07.2011, als der Fotograf die Geschäftsführerin eines Unternehmens für Nahrungsergänzungsmittel in einem Studio in München ablichtete. Vereinbart waren vier Arbeitsstunden zu je 45 Euro, insgesamt also 180 Euro. Nach Darstellung des Fotografen sollte das Bild nur in einem „Trainingsplan“ erscheinen.
Das Unternehmen bearbeitete das Portrait jedoch, isolierte das Gesicht der Geschäftsführerin und kombinierte es mit ihrem Namen sowie ihrer Unterschrift. Dieses Motiv landete anschließend gut sichtbar auf der Vorderseite jeder Packung einer rund 25 Artikel umfassenden Nahrungsergänzungsserie. Die Packungen wurden in drei Online Shops, im eigenen Webauftritt und in den Programmen eines bekannten Teleshopping-Senders präsentiert und dort sogar von der abgebildeten Geschäftsführerin persönlich vorgestellt. Das Foto wurde also kommerziell sehr flächendeckend genutzt.
Der Fotograf entdeckte die weitreichende Verwertung erst Jahre später. Um die Differenz zwischen der Pauschale und einer marktgerechten Vergütung berechnen zu können, verlangte er Auskunft über Stückzahlen, Umsätze und Lizenzvereinbarungen. Die Herstellerin wies sein Auskunftsbegehren jedoch zurück, weil sie das Portrait nur als dekoratives Element einstufte und meinte, der Fotograf habe seinen Anspruch durch jahrelange Untätigkeit verwirkt. Daraufhin kam es zur gerichtlichen Auseinandersetzung.
BGH bestätigt Fotografen-Anspruch auf Auskunft
Das Landgericht (LG) München I entschied in erster Instanz gegen den Fotografen (LG München I, Urteil vom 25.10.2021, Az. 42 O 18987/19). In der Berufung gab das OLG München dem Auskunftsbegehren dann teilweise statt und verpflichtete das Unternehmen zur Offenlegung der Nutzungen ab dem 07.06.2023 (OLG München, Urteil vom 21.03.2024, Az. 29 U 8077/21).
Fotograf verklagt Online-Marktplatz: Der BGH spricht Klartext | WBS – Die Experten
Der BGH folgte im Grundsatz der Linie des OLGs und bestätigte den Anspruch aus § 32d Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG). Nach dieser Bestimmung muss der Vertragspartner eines Urhebers einmal jährlich über Art, Umfang sowie Erträge und Vorteile der Werknutzung informieren. Die Pflicht greift auch für Altverträge, weil § 133 Abs. 3 UrhG eine rückwirkende Anwendung anordnet.
Ein Ausschluss dieser Regelung komme laut BGH nur in Betracht, wenn das Werk für das Produkt eine marginale Rolle spiele. Der BGH aber kam hier zu dem Schluss, dass gerade das Gesicht der Geschäftsführerin den Wiedererkennungswert der Artikelserie wesentlich geprägt habe und im Bereich Nahrungsergänzungsmittel ein entscheidender Vertrauensfaktor für Verbraucher sei. Deshalb liege kein nachrangiger Beitrag vor.
Um ein auffälliges Missverhältnis zu belegen, genüge eine überschlägige Schätzung auf der Grundlage des tatsächlichen Nutzungsumfangs. Allein die Online-Präsentation von rund 23 Produktkategorien rechtfertige bei konservativer Kalkulation von 80 Euro pro Bild bereits eine Vergütung, die das vereinbarte Honorar um ein Vielfaches übersteige. Die gerichtliche Erfahrung zeige, dass die Schwelle eines auffälligen Missverhältnisses schon unterschritten sei, wenn der Urheber weniger als die Hälfte einer angemessenen Vergütung erhalte.
Das Unternehmen verwies auf § 32d Abs. 2 Nr. 1 UrhG und behauptete, das Foto sei nur dekorativer Art. Diesen Einwand aber wies der BGH zurück. Die Aufnahme übertrage Authentizität und Expertise auf sämtliche Produkte und erzeuge einen klaren Wiedererkennungseffekt. Damit beeinflusse das Bild unmittelbar den Absatz, was die wirtschaftliche Betrachtung bestätige.
Offen blieb lediglich, ob der Fotograf sein Recht verwirkt habe. Ein Anspruch könne immer dann entfallen, wenn der Berechtigte ihn über längere Zeit nicht geltend gemacht habe und der Verpflichtete darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Das Unternehmen hatte vorgetragen, der Fotograf habe die Verwertung acht Jahre lang akzeptiert und in dieser Zeit monatliche Honorare zwischen 15.000 Euro und 18.000 Euro für andere Arbeiten erhalten. Das OLG muss nun prüfen, ob diese unstreitigen Umstände ein berechtigtes Vertrauen begründen.
Die Entscheidung stellt klar, dass eine einmalige Pauschale ein Risiko birgt, sobald ein Werk zum tragenden Element einer Produktlinie wird. Urheber sollten den Einsatz ihrer Werke kontinuierlich überwachen und Nachvergütungsansprüche zügig prüfen. Unternehmen wiederum sollten vor einer großflächigen Vermarktung transparent darlegen, wie sie ein Werk nutzen möchten und eine angemessene Beteiligung kalkulieren.
Geschieht dies nicht, drohen rückwirkende Forderungen einschließlich Auskunfts- und Rechnungslegungspflichten, die den gesamten Vertrieb offenlegen müssen. Der BGH bestätigt zudem, dass selbst Altverträge den jährlichen Auskunftspflichten unterliegen, wenn die Nutzung nach dem 07.06.2021 erfolgt. Am 07.06.2021 trat die große Reform des Urhebervertragsrechts in Kraft. § 133 Abs. 3 UrhG ordnet seither ausdrücklich an, dass eine Auskunftspflicht auch für bereits bestehende Verträge gilt, sofern das Werk nach diesem Stichtag weitergenutzt wird.
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